Die Neandertaler-Feministin

Warten auf den Antrag

Heiratswunsch? Der Valentinstag ist mal wieder ganz ohne Antrag vorüber gehuscht? Aber der Gedanke ans Heiraten beschäftigt Dich nicht erst seit gestern, obwohl er bei Deinem Liebsten noch lange nicht den Weg in den Kopf, geschweige denn auf seine Zunge gefunden hat? Hör‘ endlich auf Dich zu grämen. Lies stattdessen hier, dass Du damit ganz und gar nicht allein bist! Ich gewähre Dir einen schmerzhaft ehrlichen, exklusiven Blick in den Kopf meines jüngeren Ich. Und glaub‘ mir, das tu‘ ich nicht, weil ich ein Seelen-Exhibitionist bin. Ich will dir damit aufzeigen, wie Du den Balanceakt endlich beenden und wieder festen Boden unter die Füße bekommen kannst:

Ein Drahtseilakt

Alice Schwarzer würde mir ins Gesicht spucken wollen, wenn sie wüsste, was ich getan habe…

Es ist nicht leicht, heute als junge Frau in unserer pluralistischen Welt zu bestehen. Schließlich sind alle Meinungen und Lebensentwürfe von Eva Herman über Anne Will bis eben genannter Super-Feministin irgendwie okay. Am schwersten besteht man also vor sich selbst! Ich habe nicht vor, das Heimchen am Herd zu spielen und die drei großen K so groß zu schreiben, wie es vermutlich nicht einmal mehr meine Urgroßmutter getan hätte. Genauso wenig möchte ich aber meinen Partner in einen Bottich voller Salzsäure werfen. Zugegebenermaßen kann der zwar hin und wieder ziemlich nerven. Seine kleinen Macken und Marotten finde ich dennoch auf eine schwer zu beschreibende Art ganz zauberhaft.

Ich versuche also, auf einem sehr schmalen Seil tänzelnd, mit weit ausgestreckten Armen die Balance zwischen beiden Polen zu halten. Dabei hoffe ich, irgendwie unbeschadet den langen Weg zwischen einem Gestern, auf das ich nicht mit zu nostalgisch verklärtem Blick zurück schielen darf, wenn ich nicht fallen möchte, und einem Morgen, das ich im dichten Nebel auf der anderen Talseite nur schwer ausmachen kann, hinter mich zu bringen.

Küchenpsychologen

Was tut man also, wenn man sich in einem Dilemma befindet, das man allein vermeintlich nur schwer lösen kann? Man holt sich Rat. Und wie macht das das moderne Mädchen von heute? Na klar, im Internet. Wo sonst stößt man auf eine solche Fülle ähnlicher bereits gestellter Fragen und entsprechender Antworten?

Wo sonst gibt es so viele Küchenpsychologen, die nur darauf warten, jungen, verunsicherten Dingern wie mir mit den vielen Erfahrungen, die sie in ihren so wahnsinnig spannenden Leben bisher sammeln konnten, mal ordentlich den Kopf zu waschen? (Klar, die haben ja sicher den Bogen raus, wenn sie Samstag abends allein vor ihrem Computer sitzen, um anderen Beziehungstipps zu geben). Ich aber lasse mich nicht beirren, denn meine Verzweiflung ist größer als meine Bedenken. Außerdem ist mir die Frage, die ich zu stellen habe, einfach zu peinlich um sie ganz un-anonym tatsächlich in hörbare Worte zu fassen und einen realen Menschen aus meinem Umfeld damit zu belästigen.

Der Heiratswunsch – Angst, Scham und Konventionen

Meine Gedanken fließen also, ehe ich’s mich versehen kann, durch meine durchs jahrelange Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten trainierten Finger und formulieren in einem Forum für einsame Herzen einen deutlich weniger qualitätvollen Text: „Darf ich einen Mann auf den Heiratswunsch aufmerksam machen?“ hacken sie in die Tasten. Obwohl ich Simone de Beauvoir, Judith Butler und alle ihre ‚Fem-Friends‘ laut schimpfen hören kann in meinem Kopf – denn natürlich darf ich alles und wer sagt überhaupt, dass ich, in welcher Form auch immer, irgendeiner Rolle entsprechen muss – tippe ich weiter.

Ich denke, geteiltes Leid ist schließlich halbes und breite meine ganze Misere im World Wide Web aus. Ich schreibe von einer langen Beziehung, die mit Bravur Höhen und Tiefen gemeistert hat. Von tiefer Liebe, die sich nun eine Art Krönung erhofft. Von Freunden und Bekannten, die, ein Paar nach dem anderen, den Bund der Ehe eingehen. Davon, wie schön ich das finde, aber auch – und hier kommt der komplizierte Part – wie sich langsam aber sicher ein unerwartetes und unwillkommenes Gefühl in mir ausbreitet: Neid.

Bräutigam Hochzeit

Immer der Trauzeuge, niemals der Bräutigam – wer weiß, ob unsere Jungs nicht auch gern einen Antrag hätten?

Darf man das? Für Mut abgestraft…

Ich rechtfertige mich, gebe alle vermeintlich guten Gründe an, warum auch ich das will: nein, kein Prinzessinnen-Tag und erst recht kein Prinzessinnen-Kleid! Ich gebe mich betont modern und aufgeklärt. Und dann erhoffe ich mir hilfreiche, hoffentlich tröstliche, einfühlsame Antworten.

Die lassen auch nicht lange auf sich warten. Vor allem kommen sie von Müttern, die ein wenig mehr Lebenserfahrung im Gepäck als ich und ihr Herz am rechten Fleck haben. Unter die mischen sich aber auch Heerscharen von narzisstischen Selbstdarstellern (anonym oder nicht), die Gift und Galle spucken. Die lohnen meinem armen kleinen Herzen den Mut so gar nicht und schreiben Sätze à la

Heiraten ist ja sowas von gestern und du musst wohl auch erst im 21. Jahrhundert ankommen, wenn du noch nicht gerafft hast, dass es Zeit ist, die alten Zöpfe mal abzuschneiden.“

Dein Freund sollte schnell das Weite suchen und sich vor dir schmarotzendem, heiratswütigen Weibchen in Sicherheit bringen!“

Wenn er’s nach all den Jahren nicht geschafft hat, wird er das mit DIR nie wollen und sich in ein paar Jahren die nächstjüngere suchen, die er dann sofort schwängert und heiratet, zieh‘ also Leine, denn er will dich einfach nicht!“

und

Um Gottes Willen! Sag‘ bloß nichts, sonst machst du ALLES KAPUTT!“

Ich ziehe mich zurück – verletzt, noch verunsicherter als zuvor, vor allem aber enttäuscht – und lasse etwas Zeit vergehen. Mein eigener Kopf repariert den Schaden wieder, den andere mit ihren unbedachten Kommentaren angerichtet haben. Der sitzt schließlich auch am rechten Fleck!

Nicht unterkriegen lassen!

Ein paar Wochen und einige echte Gespräche mit realen Menschen (inklusive dem ‚Objekt der Begierde‘) später bin ich wieder ganz mein altes, aufrechtes Selbst. Meiner Werte und Überzeugungen bin ich mir so sicher, wie man das eben sein kann als alles in Frage stellendes ’20-Something‘. Ein bitterer Nachgeschmack aber bleibt – und tiefes Mitleid für all die anderen jungen Frauen vor und nach mir, die bereits in die selbe Falle getappt sind oder es noch tun werden.

Für alle Mädels da draußen, die evtl. weniger Rückgrat und/oder Rückhalt haben als ich. Es tut mir leid um all jene, die dann niemals oder erst viel später den Mund aufbekommen und deshalb in der Zwischenzeit still und leise hoffen, bangen. Für die, die genau deshalb vielleicht nie das bekommen, was sie sich im Grunde sehnlich wünschen. Was noch zurückbleibt von meinem Online-Abenteuer sind nagende Fragen, die seitdem gar nicht mehr aufhören wollen, unter meinen Nägeln zu brennen:

Fragen über Fragen…

Ich bin erzogen worden um zu einer modernen, selbstbewussten Frau heranzuwachsen. Dank Spitzen-Ausbildung kann ich nicht nur notfalls ‚meinen Mann stehen‘. Trotzdem kann ich eines irgendwie verstehen: dass die Stimmen in unserer Gesellschaft, oder, um bei meinem Chat-Beispiel zu bleiben, im ‚Einsame-Herzen-Forum‘, die es in Ordnung finden, wenn eine Frau einen Antrag macht, deutlich in der Minderheit sind. Irgendetwas in mir ist altmodisch. BEVOR ich die Familienplanung mit meiner anderen Hälfte in die Realität umsetze, will ich ganz konservativ GEFRAGT, verlobt, verheiratet sein.

Bin ich deshalb jetzt ein Neandertaler-Weibchen? Habe ich damit meinen Anspruch darauf, in den Genuss all der Vorteile zu kommen, die uns die Frauenrechtsbewegung bis heute gebracht hat, verwirkt? Muss ich mich deshalb voller Scham in die Hausfrauen-Ecke stellen? Mir von Internet-Selbstdarstellern und Küchenpsychologen den emanzipierten Teil meines Selbst vollkommen absprechen lassen? Und bin ich ein naives Puttchen, das nicht einen Fitzel von dem verstanden hat, was all diese mutigen, aufrechten Feministinnen versucht haben, in ihren offensichtlich zu kleingeistigen Kopf zu hämmern?

Happy End? Mach’s besser!

Mein jüngeres Ich hatte keine Antworten auf alle diese Fragen. Es hat sich noch ein paar Wochen (tja, länger muss es nicht dauern, Ladies!) am Drahtseilakt versucht. Dann hat’s aber die demütigende Situation beendet, seine ‚Big Girl Pants‘ angezogen und einfach mal Tacheles geredet hat mit dem anschließend sehr baldigen Mr. Gypsy. Das ist eine – und nicht die schlechteste – Variante, das Dilemma zu lösen. Allerdings gibt es so viele, so viel schönere Methoden. Die erfordern ein wenig mehr Poppes in der Hose, liefern aber auch deutlich schönere Anekdoten für die Enkelkinder… Einige davon verrate ich euch gleich nächste Woche!

Brautpaar Happyend

Mein ganz persönliches Happy End – und auch Mr. Gypsy hat sich gefreut! Nur der Weg dahin hätte schöner sein können!

Also, auf geht’s, Ladies! Das Schöne an der Emanzipation ist:

  • Wir müssen heute nicht mehr unmündig und geduldig warten, bis uns der persönliche Prince Charming endlich von der Waity-Katy zu seiner Herzkönigin macht!
  • Wir haben definitiv ein Mitspracherecht, was unsere Zukunft anbelangt. Das können und sollten wir auch aktiv nutzen!
  • Seine Frau stehen und selbst einen Heiratsantrag machen wird schon lange nicht mehr als armselig, sondern als mutig betrachtet!

Wie Ihr Euch auch entscheidet – Ihr seid in jedem Fall in guter Gesellschaft! Teilt Eure Warte- und Antragsgeschichten doch einfach in der Kommentarspalte und überzeugt Euch selbst!

 

Photo Credits: Sabrina Schindzielorz, The Feminist Bride, Reinhard Klein