Wie viel Glaube steckt in einer „Gypsy“-Trauung?

Freie Trauung Glaube

Freie Trauungen sind nur was für Atheisten. Stimmt nur zum Teil! Ja, bei einer freien Trauung wird nicht auf Dogmen und Glaubenssätzen herumgeritten – und genau so wollen es auch die allermeisten meiner Brautpaare. Wäre dem nicht so, wären sie bei mir auch an der falschen Adresse.

Schwierige Gretchen-Frage

Allerdings kann man von den Menschen, die zu mir kommen um sich trauen zu lassen, nicht immer zwingend behaupten, sie hätten keinen Glauben. Was ist das überhaupt – Glaube? Und warum tun sich vor allem die Deutschen so schwer mit der Gretchen-Frage? Zugegebenermaßen halte auch ich als Agnostikerin mich meistens lieber bedeckt, wenn’s in Glaubensfragen um die Wurst geht. Das habe ich übrigens mit den allermeisten meiner Freunde und Bekannten gemein. Hier windet man sich offenbar, ist gerade als deutsch sozialisierter Mensch noch unangenehmer berührt als bei der Frage nach dem Verdienst.

Religion freie Trauung

Die Glaubensfrage: für die meisten unter uns nicht leicht zu beantworten…

Das wundert mich nicht. Viele eigentlich als katholisch oder evangelisch kategorisierte Schäfchen sind im Grunde nämlich nur noch Taufschein-Christen – so wie ich. Jahrelanger Religions- und Ethik-Unterricht kann ein Verwurzelt-Sein in einem Glauben durch Erziehung in Familien und Kirchengemeinden nicht ersetzen. Ich für meinen Teil hab keines von beidem ‚genossen‘. Zum Glück!

Über’m Tellerrand

Wie könnte es auch anders sein in einer Zeit, die so pluralistisch ist wie unsere? Schon längst leben selbst im tiefsten Allgäuer Kaff nicht mehr nur Katholiken Tür an Tür. Wir begegnen heute jeden Tag „Andersgläubigen“. Und selbst wenn nicht – Schulunterricht, YouTube und Co. machen die Welt kleiner, rücken andere Sichtweisen näher und zwingen uns förmlich, unseren Horizont zu erweitern. Wer kann da allen Ernstes noch guten Gewissens behaupten, die eigene Konfession wäre im Besitz der einen, alleingültigen Wahrheit über Gott und die Welt?

Viele Wege, ein Ziel

Besonders stark kommt man diesbezüglich ins zweifeln, wenn man sich vor Augen führt, wie ähnlich sich die meisten Glaubensrichtungen in ihrem Kern sind. Setzt man sich auch nur oberflächlich damit auseinander, gewinnt man schnell den Eindruck, überall auf der Welt hätten irgendwann Menschen ein und dieselbe Wahrheit gefunden. Verwässert über viele Jahrhunderte und durch die verschiedensten Hinzufügungen und Auslassungen vieler Generationen von Menschen, eingefärbt von diversen lokal bedingten Gegebenheiten, wurde diese dann bis heute in unterschiedlichen Varianten überliefert.

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Nicht alle Wege führen nach Rom – manche auch nach Mekka, Lhasa oder Bodhgaya

Je mehr man aufhört, die Texte in den verschiedenen ‚heiligen Schriften‘ buchstabengetreu auszulegen und anfängt, ihren übertragenen Sinn zu erspüren, desto ähnlicher werden sie auch in ihrer Aussage.

Mystik und neue Spiritualität

Auf den Punkt gebracht hat das ein wunderbares Bayern2-Radio-Feature – übrigens mit ein Anstoß für diesen Artikel, der wohl schon lange überfällig ist. Eigentlich wollten die Redakteure nur die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden hierzulande großen christlichen Konfessionen herausarbeiten. Gelungen ist ihnen dabei wie ich finde aber mehr. (Unbedingt reinhören!)

Behandelt wird im Feature vor allem der Zugang zum Glauben durch die Mystik. Mystik, was ist das? Gar nicht mal so einfach zu erklären… Der irische Benediktinermönch Gregory Collins beschreibt sie als „Bewusstsein der unmittelbaren Gegenwart Gottes“. Es geht also um persönliche ‚Gotteserfahrungen‘. In Europa gab es speziell im Mittelalter mystische Strömungen, also Mystiker, die Begebenheiten, bei denen sie glaubten, in irgendeiner Form eine göttliche Präsenz gespürt zu haben, erforschten und niederschrieben.

‚Göttlicher Funke‘, Erleuchtung & Co.

Das Interessante daran: ihre Beobachtungen ähneln auffallend Konzepten anderer großer Weltreligionen. Martin Luther beschrieb Gott als ein Licht, das in einem leuchtet – am stärksten dann, wenn man seinen Verstand, also den Geist, zum Schweigen bringt, sich ‚leer macht‘ und reines Spüren zulassen kann. Kennen wir das nicht irgendwoher? Meditation, Erleuchtung…?

freie Trauung Religion

Das Konzept der Erleuchtung gibt’s nicht nur im Buddhismus – auch christliche Mystiker kannten es.

Einig sind sich viele Glaubensrichtungen auch darin, dass das, was wir als ‚Gott‘ bezeichnen, eigentlich Teil unserer selbst ist.

„Man soll Gott nicht außerhalb von sich selbst erfassen wollen, sondern als ‚mein eigen‘ und als das, was in mir ist. Gott und ich – wir sind eins.“ (Meister Eckhart – christlicher Mystiker)

Wenn sich der Kreis schließt…

Da bekommen die geschwollenen Worte von wegen ‚Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild‘ doch gleich eine ganz andere Bedeutung. Und versteht man nicht plötzlich Buddhisten besser, die aus Überzeugung keinem Lebewesen ein Leid antun? Oder Hindus? Wenn ‚göttliche Energie‘ in uns allen (und allem anderen) steckt, aber ‚Gott‘ trotzdem eins ist, sind schließlich auch wir (und alles andere) eins. Verletzt man also etwas anderes Lebendiges, schadet man über Umwege doch nur sich selbst (Karma).

Alte Lehren in neuen Gewändern

Gut, irgendwo scheint es da also eine Art ‚wahren Kern‘ zu geben, wenn sich über Länder- und Kontinentsgrenzen hinweg unterschiedliche Glaubenslehren (ganz ohne Internet) so sehr gleichen. Aber wozu überhaupt noch glauben? Ist Glaube nicht längst out?

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Könnte man meinen, New-Age-Strömungen, Life Coaches und Selbstfindungs-Workshops lassen da aber auf etwas ganz anderes schließen. Gut versteckt und trendy verkleidet propagieren teils selbst proklamierte ’spirituelle Anführer‘ wie Laura Seiler, Gabby Bernstein oder Teal Swan alte Thesen. Neudeutsch gibt’s statt einem Gottesdienst jetzt einen „#SpiritualSunday“, es wird fleißig meditiert und man ‚vibriert auf liebevollen Frequenzen‘. Da wird das Wort ‚Gott‘ dann eben durch ‚Universum‘ ersetzt, weil sich der Otto-Normal-Hipster einfach wohler damit fühlt. Ist schließlich irgendwie schicker zu sagen, man vertraue aufs Universum als dass man auf Gott baut. Versteh‘ ich! Mir geht’s ähnlich…

Demokratisch, aber mit Vorsicht zu genießen

An sich ist es ja auch nichts Schlechtes, dass das Monopol auf Glauben nicht mehr verstaubte Amtskirchen haben und die Menschen sich das Rosinenpicken aus verschiedenen Glaubensrichtungen nun einfach selbst erlauben. Einen Nachteil kann ich auch nicht sehen, wenn New-Age-Strömungen propagieren, man solle das in unserer Zeit oft viel zu aufgeblasene Ego zu Gunsten von Gemeinschaft ein wenig eindampfen. Aufpassen sollte man nur bei Bezahlangeboten dieser neuen Gurus. (Besonders dann, wenn sie auch noch den schnellen Durchbruch im Job inklusive Bikini-Body versprechen – kritisch!) Ich weiß nicht, ob Seelenfrieden sich tatsächlich erkaufen lässt. Den Ablasshandel haben schließlich selbst die Katholiken abgeschafft…

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Gar nicht so leicht, aus all den ’neuen‘ Glaubens-Angeboten auszuwählen…

(Was) glaubt GypsyGal?

Mittlerweile interessiert Euch sicherlich, wie ich selbst eigentlich die Gretchen-Frage beantworte. Tja – wenn ich das schon so genau wüsste… Sicher bin ich mir nur, hinter welchen ‚Glaubenssätzen‘ ich stehen kann – und hinter welchen so gar nicht.

Ich glaube nicht an Dogmatismus – keine ‚Wahrheit‘ ist unumstößlich und für ein und dasselbe Problem gibt es immer viele richtige Lösungen. Diesen verschließt sich, wer einen Glauben fundamentalistisch lebt. Schade! Sünde, Hölle und Fegefeuer (getauft bin ich ja katholisch) sind Konzepte, mit denen ich absolut nichts anfangen kann.

Ich glaube an Toleranz und Mitgefühl. Für mich sind das Lebenseinstellungen, die es einem erlauben, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen. Wer ein Stück weit sich selbst im anderen erkennt, ist wohl weniger gewillt, andere zu verletzen. Ob man nun sagt „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder nach Kinderreim-Manier „Was Du nicht willst, dass man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem andren zu“ kommt ja auf’s selbe raus. Dahinter kann ich stehen.

In diesem Sinne: Namasté (= „das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in Dir“; hinduistische Grußformel)!